Monika Griefahn, Mitglied des Deutschen Bundestages a. D.

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    12.03.2005

    Rede zur Jahrestagung des Verbandes der Niedersächsischen Musikschulen


    ++ es gilt das gesprochene Wort ++

    Liebe Kultur- und Musikfreunde,

    Ich möchte mich herzlich für Ihre Einladung bedanken und ich freue mich, dass wir heute zusammen Ideen zur Zukunft von Musikschulen austauschen können.

    Öffentliche Musikschulen halte ich für unverzichtbar und ich sehe ganz persönlich, wie wertvoll sie zum Beispiel für meine eigenen Kinder sind. Private Anbieter haben meist ein viel begrenzteres Spektrum als die öffentlichen und arbeiten nach weitaus ökonomischeren Regeln, weshalb ich mich dafür einsetze, dass die Musikschulen erhalten werden.

    Musikalische Förderung ist eine Investition in die Zukunft. Sie ist Teil der „kulturellen Bildung“ insgesamt, die ich für besonders wichtig halte und durch die der phantasievolle Umgang mit Kunst und Kultur im Alltag erlernt wird. Sie werden wahrscheinlich alle Untersuchungen, wie die Bastian-Studie, kennen, die ja sehr deutlich gemacht hat, dass Kinder, die in der Schule intensiv Musikunterricht gehabt haben, auch in anderen Fächern besser waren. Das erklärt sich auch daraus, weil im Musikunterricht ja ganz andere Sinne angesprochen werden, als meinetwegen in Mathematik oder Geschichte.

    Musische Bildung fördert erwiesenermaßen die Intelligenz und das Sozialverhalten. Heute sitzen Kinder immer länger vor dem Fernseher und Computer. Sie nehmen dabei nur noch passiv wahr, wodurch die Allgemeinbildung und Persönlichkeitsentfaltung beeinträchtigt werden. Hier brauchen Kinder zumindest einen Gegenpol. Und da halte ich die musikalische Bildung für eine geeignete und fast zwingende Aufgabe.

    Die „Kulturelle Kompetenz“ ist in diesem Zusammenhang ein Schlüsselbegriff. Ich will Ihnen ein Beispiel geben. Gerade kam mit „Rhythm is it“ ein toller Dokumentarfilm in die Kinos. Hier arbeiteten die Berliner Philharmoniker unter Simon Rattle mit genau solchen Kindern zusammen, die man in einer Musikschule leider kaum treffen würde. In einem gemeinsamen Arbeitsprozess schaffte es das Orchester mit den Kindern, die noch nie mit klassischer Musik zu tun hatten, Strawinskys „Le Sacre du Printemps“ mit viel Spaß umzusetzen.

    Genau durch solche Projekte wird kulturelle Kompetenz vermittelt. Und wenn noch mehr Menschen verstehen würden, dass musische Bildung dabei eine Schlüsselkompetenz ist, dann würden die Kulturschaffenden auch nicht länger klagen müssen, dass das Konzertpublikum so stark altert.

    An solchen Projekten, wie dem mit Simon Rattle, kann man deutlich sehen, dass es genau der falsche Weg ist, wenn wir, wegen der schlechten PISA-Ergebnisse, Mathe- oder Deutschunterricht erweitern und dabei Musik oder auch Sport ganz vernachlässigen.

    Dabei will ich aber nicht vergessen, dass musische Bildung auch ein Bestandteil im Prozess des lebenslangen Lernens ausmachen sollte. Ob also im Kindergarten, der Schule, der beruflichen Ausbildung oder der Erwachsenen- und Weiterbildung – heute kann sich keiner mehr auf das einmal Gelernte zurückziehen und denken das reiche für das ganze Leben.

    Weil die Musikschulen innerhalb der musischen Bildung eine wichtige Rolle spielen, besteht auch eine öffentliche Verpflichtung. Natürlich fällt die originäre Zuständigkeit unter die Kulturhoheit von Länder und Kommunen, aber der Bund kann hier wichtiger Impulsgeber aber auch indirekter Geldgeber sein.

    Meine Damen und Herren,

    Sie merken, dass immer mehr Menschen auch in der Politik zu erkennen scheinen, dass Bildung und zwar in allen Bereichen, stärker in den Vordergrund rücken muss. In der SPD haben wir uns mit dem Programm „Bildung und Betreuung“ genau das auf die Fahnen geschrieben. Hier stellen wir seit 2003 in den nächsten Jahren insgesamt vier Milliarden Euro für die Schaffung neuer Ganztagsschulplätze bereit. Zusätzlich sollen den Ländern und Kommunen ab 2004 jährlich 1,5 Milliarden Euro dauerhaft zur Verfügung gestellt werden, um zusätzliche Betreuungsmöglichkeiten für Kinder unter drei Jahren zu schaffen.

    Im Zusammenhang der momentanen Initiative für mehr Bildung geht es auch darum, die Musikschulen strukturell im deutschen Bildungssystem zu verankern. Sie gehören zur kulturellen Grundversorgung und da ist es doch völlig abwegig, wenn man bedenkt, dass eine Straße als Investition gilt, obwohl sie sich abnutzt und alles was mit Bildung zu tun hat – also auch die Musikschulen - gilt als Konsum, den man dann einschränken kann. Das halte ich für eine falsche Systematik und es wäre kurzsichtig von den Kommunen, das Geld für die Musikschulen, die doch eine ausgesprochene Präventionsarbeit leisten, zu kürzen.

    Den gern zitierte Satz unseres Innenministers: „Wer Musikschulen schließt, gefährdet die innere Sicherheit.“ kann ich hier nur unterstreichen. Wenn Kinder, gerade in Flächengebieten, nachmittags keine sinnvolle Aufgabe haben, ergibt sich hinterher die Situation, Geld in erheblichem Umfang für Polizei und Resozialisierungsmaßnahmen aufwenden zu müssen. Da machen die Kommunen natürlich eine Milchmädchenrechnung auf, wenn sie sagen: Geld für Musikschulen ist erst einmal kommunales Geld, das müssen wir einsparen und die Polizei bezahlt dann das Land. So kann es natürlich nicht sein.

    Genau aus diesem Grund muss die Arbeit der Musikschulen oder auch der Sportvereine in das Programm von Ganztagsschulen integriert werden. Auf diese Weise kommt man dann auch zu Finanzierungsmöglichkeiten, die realistisch sind. Wenn die Schulen vom Land bezahlt werden, dann erreichen wir die kooperativen Finanzmodelle, von denen ich eben sprach. Statt die Polizei zu bezahlen kann man das Geld lieber in die Schule stecken. Dabei ist mir ganz wichtig, dass die musische Bildung nicht eine Art von Ganztagsbetreuung ist, sondern ein gleichwertiges, kontinuierliches kulturelles Angebot.

    Natürlich sind auch die Institutionen und damit Sie selbst gefragt, neue Anregungen für Reformen zu geben und über die Art und Weise einer Neugestaltung nachzudenken. Interessante Ansätze dazu hat, wie ich finde, beispielsweise im letzten Jahr Markus Hebsacker veröffentlicht. Auch wenn ich nicht mit all seinen Ansätzen einverstanden bin – beispielsweise halte ich den Einzelunterricht weiterhin für sehr wichtig – denke ich auch, dass die Reformen weit reichend sein müssen.

    Die Bundespolitik soll diese, Ihre Arbeit unterstützen und fördern. Und da will ich abschließend auf eine Vorraussetzung für eine gute musische Ausbildung eingehen, bei der auch unbedingt etwas getan werden muss und zwar auch von politischer Seite.

    Ich spreche von der Musiklehrerausbildung. Der Mangel an Musikunterricht ist ein akutes Problem, dass aber zum Teil auch damit zusammenhängt, dass es zuwenig ausgebildete Lehrer gibt. Da muss etwas passieren. Im Moment ist es ja so, dass die Eingangsvoraussetzungen für Musiker und Musiklehrer quasi gleich sind und dadurch Musiklehrer, die pädagogisch vielleicht sehr gut wären, abgeschreckt werden. Man muss aber kein Klaviervirtuose sein, um ein guter Klavierlehrer zu werden.

    Das Musikstudium ist meiner Meinung nach dringend überarbeitungsbedürftig, damit wir überhaupt Musiklehrer an die Schulen bringen können. Es liegt nicht daran, dass es die Stellen nicht gibt, sondern auch daran, dass wir kein Personal haben.

    Meine Damen und Herren

    Sie sehen, keiner muss pessimistisch sein und wegen der sinkenden Zahl von Musikschulen verzweifeln. Es gibt viele Möglichkeiten unser Bildungssystem und die Musikschulen als ein wichtiger Bestandteil darin zu erneuern und zu verbessern. Mit der Gewissheit, dass wir uns gemeinsam weiterhin intensiv dafür einsetzen, kann ich Ihnen versichern, dass ich ganz optimistisch für die Zukunft bin.